Konfliktforscher Dr. Boeser: Warum wir wieder lernen müssen, richtig zu streiten
Thyrnau. „Mehr Streit wagen“ lautete das Thema der Informationsveranstaltung von Wählergemeinschaft Thyrnau-Kellberg und der KEB Passau, zu der Sebastian Dillinger 40 interessierte Bürger begrüßen konnte. Im Rahmen der „Wochen zur Demokratie“ war der Konfliktforscher Dr. Christian Boeser in den Edlfurtner Saal nach Thyrnau gekommen. Seine These: Streit ist lebensnotwendig. Feindseliger Streit sei jedoch genauso schlecht wie Streitvermeidung. Dies gelte im Großen wie im Kleinen, in der Demokratie genauso wie im zwischenmenschlichen Bereich. Unterschiedliche Werte und Interessen sowie das offene Austragen von Meinungsverschiedenheiten gehören wesentlich zu einer lebendigen Demokratie. Allerdings muss kultivierter Streit erst gelernt werden. Wir leben in einer nervösen Gesellschaft. Themen wie Zuwanderung oder Klimawandel polarisieren. Wenn man sich beispielsweise gegen Zuwanderung ausspricht, gilt man schnell als rechtsradikal. Will man Flüchtlingen helfen, gilt man schnell als „links-grün versifft“. Was ist guter Streit? Ein erster Schritt ist, im anderen keinen Feind, sondern einen Gegner zu sehen. Jeder kann und soll seine eigene Meinung haben. Wichtig ist eine gewisse Offenheit, um die Meinung des anderen zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass man sie deswegen annehmen muss. Das setzt Interesse am Gegenüber und die Bereitschaft, Grenzen zu akzeptieren, voraus. Grenzverletzungen führen immer zu Gewalt, im Großen wie im Kleinen. Zudem ist es wichtig, sich großherzig Fehler und auch das Scheitern einzugestehen, auch sich selbst gegenüber. Der Wissenschaftler aus Augsburg empfahl, gegenüber Populisten skeptisch zu sein, aber auch gegenüber Menschen, die einen selbstgerechten Absolutheitsanspruch haben – und durchaus auch gegenüber dem kleinen Populisten in sich selbst. Wichtig sei es immer wieder – auch sich selbst – zu fragen: „Was, wenn du dich täuschst?“ „Sprechen Sie mit denen, die eine andere Meinung haben!“, empfahl er und fügte hinzu: „Nicht vergessen: Nach dem Streit ist vor dem Streit.“ Zusammenfassend könne man „guten Streit“ letztlich auf vier Begriffe reduzieren: „Zuhören“, „sich zeigen“, „wertschätzen“ und „repeat“, also wiederholen. Langanhaltender Applaus unterstrich die gleichzeitig hohe Qualität und bürgernahe Sprache von Dr. Christian Boeser, den Barbara Schwarzmeier von der Katholischen Erwachsenenbildung als Referenten gewinnen konnte. In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um die Streitkultur in den sozialen Medien, in denen häufig unter dem Deckmantel der Anonymität sehr krass und enthemmt gestritten wird. Angesichts der vielen Megakrisen – wie der Corona-Pandemie, der Migration, den Kriegen in der Ukraine und in Nahost – sei unsere Gesellschaft derzeit sehr nervös. Umso wichtiger seien Gespräch und Meinungsaustausch, also „guter Streit“.
– Dionys Asenkerschbaumer


